“Beer is more efficient than social media”, so lautet ein Aufsatztitel von Ulrike Klinger und Uta Russmann (2017). Wir würden niemals dazu raten wollen, auf soziale Medien im Wahlkampf zu verzichten, gerade nicht mit Blick auf die junge Zielgruppe. Letztlich ist der persönliche Kontakt jedoch das, was Wähler*innen dazu bewegt, ihre Stimme abzugeben und im eigenen Bekanntenkreis als Multiplikator*innen zu mobilisieren.
Wer in der Kommunalpolitik aktiv ist, der weiß: Mit der Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen ist das so eine Sache. Selbst in großen Städten zeigt die Kommunalwahl 2020 in Nordrhein-Westfalen bitter auf, dass Wahlbeteiligungen unter 50 Prozent, ja gar unter 40 Prozent möglich sind. Doch was heißt das im Umkehrschluss? Ausbleibende Mobilisierung der einen, „asymmetrische Demobilisierung“ (Jung, 2019) der anderen, wie es die CDU/CSU als erprobte Strategie bei Bundestagswahlen kennt?
Die Wahrheit liegt nicht nur, wie so häufig, irgendwo in der Mitte; zudem schreiben die Kommunalwahlen stets ihre eigenen Gesetze. Das fängt mit dem Amtsbonus und dem Amtsmalus an: Kandidat*innen, die bereits einen Posten als (Ober)Bürgermeister*in oder Landrat oder Landrät*in bekleiden, können auf ihre Bekanntheit vor Ort bauen. Leisten sie aus der Perspektive der Wähler*innen gute Arbeit, werden sie dafür belohnt, leisten sie schlechte Arbeit, werden sie bestraft. Doch sie sind letztlich die einzigen, die wenigstens einen Grundsockel an Bekanntheit vor Ort aufbauen können, da ihre Amtszeit letztlich eine Art Dauerwahlkampf darstellt.
Gegenkandidat*innen müssen sich diese Bekanntheit erst aufbauen. Zunehmend lässt sich eine verzweifelte Kandidat*innensuche der Parteien, selbst für hohe Posten, erkennen: Die Bereitschaft, den Kampf um die eigene Bekanntheit führen zu müssen, schwindet. „Herausforderer können nur so stark sein, wie die Amtsinhaber schwach sind“ (Breyer-Mayländer, 2019, S. 36), schließt die Marketingliteratur für Kommunen und lässt damit eine Vermutung zu: Wo die Amtsinhaber*innen stark sind, werfen eventuelle Gegenkandidat*innen vor der Nominierung die Flinte ins Korn – indem sie sich gar nicht erst aufstellen lassen.
Für alle anderen gilt aber, gerade jetzt: die eigene Bekanntheit zu steigern. Das geht über soziale Medien, das geht über Zeitungsannoncen. Diese Mittel sind aber nur flankierend zu einem – corona-adäquaten(!) – Haustürwahlkampf zu betrachten. Haustürwahlkampf beginnt und endet genau dort: an der Haustür, nicht in der Wohnung. Es gilt, Abstand zu wahren. Es gilt auch, thematisch nicht zu überfordern. Nach Kennedy sollen Bürger*innen nicht fragen, was ihr Land für sie tun kann, sondern was sie für ihr Land tun können. Für Wahlkämpfer*innen an der Haustür gilt die Umkehrung dessen: Zeigt nicht auf, was Ihr an politischen Themen habt, sondern zeigt auf, was Ihr konkret für die persönlichen Anliegen der Menschen vor Euch tun könnt.
Das heißt, Fragen zu stellen und zuzuhören. Menschen ernst nehmen und wertschätzen. Als Kandidat*in Gesicht zeigen und nicht aus Verlegenheit die Parteikolleg*innen vorschicken. Haustürwahlkampf hat Effekte, die nicht unterschätzt werden sollten: Wer von Kandidat*innen persönlich an der eigenen Haustüre ‚überrascht‘ wird, wird das Gespräch im seltensten Fall ablehnen. Er oder sie wird gerne über eigene Anliegen berichten und im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis den überraschenden Besuch kommunizieren (Geise und Podschuweit, 2019, S. 168f.) – idealiter mit Wahlaufforderung!
Autor: Simon Jakobs, Leiter der interPartner Akademie. In seiner täglichen Arbeit begleitet er Betriebsräte und bildet Ehrenamtliche aus und weiter. Seine Dissertation zur Mitgliederwerbung der SPD und CDU im Vergleich erscheint Open Access im Herbst im Verlag Barbara Budrich. Sie erreichen Simon Jakobs unter 0201–2487851 oder unter simon.jakobs@interPartner.com.
Zitierte Literatur:
Breyer-Mayländer, Thomas (2019): Marketing für Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik. Kommunikations- und Partizipationsstrategien für das Gemeinwohl vor Ort. Wiesbaden: Springer Gabler.
Geise, Stephanie; Podschuweit, Nicole (2019): Partizipation durch Dialog? Mobilisierungsstrategien politischer Akteure im Bundestagswahlkampf 2017. In: Ines Engelmann, Marie Legrand und Hanna Marzinkowski (Hrsg.): Politische Partizipation im Medienwandel. Berlin: Böhland & Schremmer. S. 157–191.
Jung, Matthias (2019): Modernisierung und asymmetrische Demobilisierung. In: Karl-Rudolf Korte und Jan Schoofs (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2017. Analysen der Wahl‑, Parteien‑, Kommunikations- und Regierungsforschung. Wiesbaden: Springer VS. S. 323–342.
Klinger, Ulrike; Russmann, Uta (2017): ‚“Beer is more efficient than social media” –Political parties and strategic communication in Austrian and Swiss national elections. In: Journal of Information Technology & Politics 14 (4), S. 299–313.